Friedrich von Schiller:
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Bei diesem Licht, das uns zuerst begrüsst |
Der Apfelschuß
Hof vor Tells Hause
Tells Sohn Walter übt mit Pfeil und Bogen: "Früh übt sich, was ein Meister werden will."
Wilhelm Tell selbst hantiert mit einer Axt: "Die Axt im Haus erspart den Zimmermann."
Seine Frau Hedwig hält ihm vor, daß er auf der Jagd, aber auch auf dem See bei Sturm
zu viel wage.
Darauf Tell: "Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten."
Hedwig ahnt Schlimmes, sie rät Tell, nicht nach Altdorf zu gehen. Doch der Tell wäre nicht der Tell,
wenn er sich abbringen ließe von dem, was er sich in den Kopf gesetzt.
Wilde Waldgegend. Berta im Jagdkleid und Rudenz.
Hier kommt nun die unvermeidliche Liebesgeschichte, die in keinem erfolgreichen Theaterstück oder Film fehlen darf, auch wenn sie zur eigentlichen Handlung wenig bis nichts beiträgt. Berta von Bruneck, eine reiche Erbin von Besitzungen in Uri, gehört zum Gefolge des Landvogts Gessler. Ulrich von Rudenz, der Neffe von Werner Freiherr von Attinghausen vertritt den Urner Landadel. Im Gegensatz zum alten Attinghausen verachtet er die Landbevölkerung. Er sucht nach Ruhm und möchte sich bei Berta durch eine Habsburg-freundliche Haltung einschmeicheln. Berta dagegen weiß wohl, daß man sie im Umfeld der Habsburger nur als Objekt der Heiratspolitik betrachtet. Ihr Herz schlägt auf der Seite der unterdrückten Landbevölkerung, sie möchte abseits der höfischen Ränkespiele unter den freien Schweizern auf ihren Gütern in den Waldstätten leben. Sie wäre einer Verbindung mit Rudenz nicht abgeneigt, wenn er nur zu seinem Volk und Land stehen statt mit den Habsburgern gemeinsame Sache machen würde:
Seid,
Wozu die herrliche Natur Euch machte!
Erfüllt den Platz, wohin sie Euch gestellt,
Zu Eurem Volke steht und Eurem Lande
Und kämpft für Euer heilig Recht.
...
Nach meinem Erbe strecken sie die Hand,
Das will man mit dem grossen Erb' vereinen.
Dieselbe Ländergier, die eure Freiheit
Verschlingen will, sie drohet auch der meinen!
...
Weh mir! Wie stünd's um mich,
Wenn ich dem stolzen Ritter müßte folgen,
Dem Landbedrücker, auf sein finstres Schloß
- Hier ist kein Schloß. Mich scheiden keine Mauern
Von einem Volk, das ich beglücken kann! ...
Es ist ein Feind, vor dem wir alle zittern,
Und eine Freiheit macht uns alle frei!
Ob sich das Volk von dieser Berta beglücken lassen möchte, bleibe dahin gestellt.
Wiese bei Altdorf. Geßlerhut auf der Stange.
Die Hutwachen sind verdrießlich, weil das Volk den sonst belebten Platz meidet, "seitdem der Popanz auf der Stange hängt". Da erscheint Wilhelm Tell mit seinem Bub Walter und philosophiert über das große ebne Land:
Das Land ist schön und gütig, wie der Himmel,
Doch die's bebauen, sie genießen nicht
Den Segen, den sie pflanzen.
...
Dort darf der Nachbar nicht dem Nachbar trauen.
Wilhelm Tell will, obwohl ihn der Knabe noch auf den Hut aufmerksam macht, achtlos am Hut vorbeigehen, da halten ihn die Wachen auf. Landleute kommen dazu, es kommt zu Aufruhr. Da erscheint der Landvogt Gessler mit seinem Gefolge. Wilhelm Tell versucht sich herauszureden, er habe aus Unbedacht gehandelt. Doch Gessler zwingt ihn dazu, mit seiner Armbrust einen Apfel vom Kopf seines Buben zu schießen. Alles Flehen hilft nicht, weder von Wilhelm Tell selbst, noch von Walter Fürst, nicht einmal von Berta von Bruneck vermag den Wüterich Geßler zu erweichen. Während Wilhelm Tell die Armbrust zum Apfelschuss ansetzt, spricht Rudenz Klartext, obwohl Gessler ihn schweigen heißt:
Ich will reden,
Ich darf's! Des Königs Ehre ist mir heilig,
Doch solches Regiment muß Haß erwerben.
Das ist des Königs Wille nicht - Ich darf's
Behaupten - Solche Grausamkeit verdient
Mein Volk nicht, dazu habt Ihr keine Vollmacht.
Wilhelm Tell hat einen zweiten Pfeil im Göller bereit gehalten. Nachdem ihm der Vogt das Leben zugsichert hat, gibt er zu: So will ich Euch die Wahrheit gründlich sagen. Mit diesem zweiten Pfeil durchschoß ich - Euch, |
Daraufhin läßt Geßer den Tell fesseln und auf dem Seeweg nach Küssnacht am Rigi bringen. Die Landleute protestieren:
Ihr wollt ihn außer Lands gefangen führen?Doch Gessler läßt sich nicht beeindrucken:
Das dürft Ihr nicht, das darf der Kaiser nicht,
Das widerstreitet unsern Freiheitsbriefen!
Wo sind sie? Hat der Kaiser sie bestätigt?
Er hat sie nicht bestätigt - Diese Gunst
Muß erst erworben werden durch Gehorsam.
Rebellen seid ihr alle gegen Kaisers
Gericht und nährt verwegene Empörung.
Ich kenn euch alle - ich durchschau euch ganz -
Den nehm ich jetzt heraus aus eurer Mitte,
Doch alle seid ihr teilhaft seiner Schuld:
Wer klug ist, lerne schweigen und gehorchen.
Der Tyrannenmord
Östliches Ufer des Vierwaldstättersees, heftiges Rauschen, Blitz und Donnerschläge
Friedrich Schiller zeigt den Tellensprung vom Schiff auf die Tellsplatte nicht direkt. Er läßt vielmehr den Wilhelm Tell zwei Fischern begegnen, denen er von seiner Flucht erzählt. Im Föhnsturm wußten sich der Landvogt Gessler und seine Knechte nicht anders zu helfen, als Wilhelm Tell loszubinden und ans Steuer zu setzen. An der vorstehenden Felsplatte jedoch fasst er seine Armbrust, schwingt sich hoch und stößt das Schiff in die tobenden Wellen zurück. |
Die Fischer sehen darin ein Wunder:
Tell, Tell, ein sichtbar Wunder hat der Herr
An Euch getan, kaum glaub ich's meinen Sinnen.
Edelhof zu Attinghausen.
Walter Fürst, Werner Stauffacher und Konrad Baumgarten sind um den sterbenden Freiherrn versammelt. Hedwig, Tells Frau, stürzt herein und beklagt sich:
O rohes Herz der Männer! Wenn ihr Stolz
Beleidigt wird, dann achten sie nichts mehr,
Sie setzen in der blinden Wut des Spiels
Das Haupt des Kindes und das Herz der Mutter!
...
Wo waret ihr, da man den Trefflichen
in Bande schlug? Wo war da eure Hilfe?
Ihr sahet zu, ihr ließt das Gräßliche geschehn,
Geduldig littet ihr's, daß man den Freund
Aus eurer Mitte führte - Hat der Tell
Auch so an euch gehandelt? Stand er auch
Bedauernd da, als hinter dir die Reiter
Des Landvogts drangen, als der wüt'ge See
Vor dir erbrauste? Nicht mit müß'gen Tränen
Beklagt' er dich, in den Nachen sprang er, Weib
Und Kind vergaß er und befreite dich -
...
Ach, in des Kerkers feuchter Finsternis
Muß er erkranken - Wie die Alpenrose
Bleicht und verkümmert in der Sumpfesluft,
So ist für ihn kein Leben als im Licht
Der Sonne, in dem Balsamstrom der Lüfte.
Gefangen! Er! Sein Atem ist die Freiheit,
Er kann nicht leben in dem Hauch der Grüfte.
Die Eidgenossen weihen den sterbenden Freiherrn von Attinghausen in ihre Pläne ein. Dieser stellt erstaunt fest, daß der Adel überflüssig geworden ist:
Hat sich der Landmann solcher Tat verwogen,
Aus eignem Mittel, ohne Hilf' der Edeln,
Hat er der eignen Kraft so viel vertraut -
Ja, dann bedarf es unserer nicht mehr,
Getröstet können wir zu Grabe steigen:
Er lebt nach uns - durch andre Kräfte will
Das Herrliche der Menschheit sich erhalten.
...
Der Adel steigt von seinen alten Burgen
Und schwört den Städten seinen Bürgereid;
Attinghausen stirbt. Rudenz kann ihm seinen Sinneswandel nicht mehr selbst zeigen.
Auch Berta wurde von Geßlers Leuten verschleppt. Rudenz drängt die Eidgenossen
zu sofortigem Handeln.
Die hohle Gasse bei Küßnacht.
Wilhelm Tell legt sich auf die Lauer und kämpft mit seinem Gewissen, sucht sich zu rechtfertigen.
Durch diese hohle Gasse muß er kommen
...
Ich lebte still und harmlos - Das Geschoß
War auf des Waldes Tiere nur gerichtet,
Meine Gedanken waren rein von Mord -
Du hast aus meinem Frieden mich heraus
Geschreckt, in gärend Drachengift hast du
Die Milch der frommen Denkungsart mir verwandelt,
Zum Ungeheuren hast du mich gewöhnt -
Der kann auch treffen in das Herz des Feinds.
...
Du bist mein Herr und meines Kaisers Vogt,
Doch nicht der Kaiser hätte sich erlaubt,
Was du - Er sandte dich in diese Lande,
Um Recht zu sprechen - strenges, denn er zürnet -
Doch nicht, um mit der mörderischen Lust
Dich jedes Greuels straflos zu erfrechen:
Es lebt ein Gott, zu strafen und zu rächen.
Stüssi, der Flurschütz tritt herzu und berichtet von allerlei Unglücksfällen, die als Vorzeichen für ein großes Landesunglück deutet, "Auf schwere Taten wider die Natur". Wilhelm Tell erwidert sarkastisch:
Dergleichen Taten bringet jeder Tag,
Kein Wunderzeichen braucht sie zu verkünden.
...
Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben,
Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt.
Eine arme Frau mit ihren Kindern stellt sich dem Landvogt in den Weg klagt ihm ihr Elend, da ihr Mann wegen eines geringen Vergehens im Gefägnis schmachtet. Doch Geßler läßt sich nicht erweichen. Da stellt sie sich ihm in den Weg:
Nein, nein, ich habe nichts mehr zu verlieren.
- Du kommst nicht von der Stelle, Vogt, bis du
Mir Recht gesprochen - Falte deine Stirne,
Rolle die Augen, wie du willst - Wir sind
So grenzenlos unglücklich, daß wir nichts
Nach deinem Zorn mehr fragen -
Der Landvogt Gessler tobt:
Ein allzu milder Herrscher bin ich noch
Gegen dies Volk - die Zungen sind noch frei,
Es ist noch nicht ganz, wie es soll, gebändigt -
Doch es soll anders werden, ich gelob es,
Ich will ihn brechen, diesen starren Sinn,
Den kecken Geist der Freiheit will ich beugen.
Ein neu Gesetz will ich in diesen Landen
Verkündigen - Ich will -
(Ein Pfeil durchbohrt ihn, er fährt mit der Hand ans Herz und will sinken)
...
Das ist Tells Geschoß.
Rudolf der Harras, Geßlers Stallmeister versucht die Situation vergeblich in den Griff zu kriegen - die Bittstellerin Armgard ist völlig pietätlos: "Seht, Kinder, wie ein Wüterich verscheidet!" und der Flurschütz Stüssi fällt Rudolf in den Arm:
Eu'r Walten hat ein Ende. Der Tyrann
Des Landes ist gefallen. Wir erdulden
Keine Gewalt mehr. Wir sind freie Menschen.
Mehr zum Motiv des Totentanzes:
Freiheit! Freiheit!
Öffentlicher Platz bei Altdorf; auf den Bergen brennen Signalfeuer
Ruodi der Fischer und Arnold von Melchtal berichten, dass der Tyrann ermordet und die Burgen gebrochen sind - nur die Twing Uri steht noch im Gerüst. Melchtal hat den Roßberg mit List erstiegen und angezündet und dann zusammen mit Rudenz die gefangene Berta aus den brennenden Trümmern gerettet - Friedrich Schiller überbietet selbst die alten Chroniken, wenn's um die Action geht! Den Vogt Landenberg hat man über den Brünig verjagt - nicht ohne ihn schwören zu laßen, dass er nie zurückkehren werde.
Der Gesslerhut wird von der Stange geholt. Einige wollen ihn verbrennen. Doch Walter Fürst wehrt es:
Nein, laßt ihn aufbewahren!
Der Tyrannei mußt er zum Werkzeug dienen,
Er soll der Freiheit ewig Zeichen sein!
Damit liefert Friedrich Schiller gleich noch eine kleine Ätiologie [sagenhafte Begründung], dass zu seiner Zeit in der Helvetischen Republik [offizieller Name der Schweiz von 1798-1815] nach dem Vorbild der französischen Revolution allerorten Freiheitsbäume gepflanzt und darauf Freiheitshüte gesetzt werden. Bekanntlich beriefen sich auch die Revolutionäre in Frankreich auf Wilhelm Tell.
Werner Stauffacher und der Pfarrer Rösselmann treten hinzu und bringen die Nachricht von der Ermordung des Kaisers Albrecht I. durch seinen Neffen Herzog Johann von Schwaben. Stauffacher nennt auch die Gründe:
Der Kaiser hielt das väterliche ErbeMelchtal kommentiert sarkastisch:
Dem ungeduldig Mahnenden zurück;
Es hieß, er denk' ihn ganz darum zu kürzen, Mit einem Bischofshut ihn abzufinden.
So hat er nur seine frühes Grab gegraben,
Der unersättlich alles wollte haben!
Im Gegensatz zur Sage von Wilhelm Tell, für die es bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts keinerlei schriftliche Belege gibt, ist der "Vatermord" an Kaiser Albrecht I., vom 1. Mai 1308 historisch zweifelsfrei belegt. Johannes Parricida und seine Komplizen nutzten die Tatsache aus, daß der Kaiser beim Überqueren der Reuss mit einer Fähre bei Windisch [römisches Heerlager Vindonissa] bei Brugg im Aargau kurz von seinem Gefolge getrennt wurde. Die Habsburg, Stammsitz der Habsburger, befindet sich in unmittelbarer Nähe auf einer Anhöhe.
Für einen Aufruf der kaiserlichen Witwe, der alten Gunst zu gedenken, die man "von Rudolfs Fürstenhaus empfangen" habe, und die Mörder zu fassen und auszuliefern, haben die Eidgenossen wenig Verständnis:
Stauffacher:
Wir haben Gunst empfangen von dem Vater, [Rudolf I.]
Doch wessen rühmen wir uns von dem Sohn? [Albrecht I.]
Hat er den Brief der Freiheit uns bestätigt,
Wie vor ihm alle Kaiser doch getan?
...
Ihn rührte unsre Not nicht an - Ihm Dank?
Nicht Dank hat er gesät in diesen Tälern.
Er stand auf einem hohen Platz, er konnte
Ein Vater seiner Völker sein, doch ihm
Gefiel es, nur zu sorgen für die Seinen:
Die er gemehrt hat, mögen um ihn weinen!
Walter Fürst:
Wir wollen nicht frohlocken seines Falls,
Nicht dem empfangnen Bösen jetzt gedenken,
Fern sei's von uns! Doch, daß wir rächen sollten
Des Königs Tod, der nie uns Gutes tat,
Und die verfolgen, die uns nie betrübten,
Das ziemt uns nicht und will uns nicht gebühren.
Die Liebe will ein freies Opfer sein;
Der Tod entbindet von erzwungnen Pflichten,
- Ihm haben wir nichts weiter zu entrichten.
Melchtal:
Und weint die Königin in ihrer Kammer,
Und klagt ihr wilder Schmerz den Himmel an,
So seht ihr hier ein angstbefreites Volk
Zu eben diesem Himmel dankend flehen -
Wer Tränen ernten will, muß Liebe säen.
Gemünzt sind diese Aussagen auf die deutschen Fürsten und Könige zu Schillers Zeit, denen der Dichter mit dem historischen Stoff diskret und doch klar den Spiegel vor die Augen hält. Schillers Sprache mag wohl etwas antiquiert erscheinen, heute würde man vielleicht weniger von Liebe als von Good Governance sprechen. Doch daß solche Worte auch in heutiger Zeit noch Gültigkeit haben, dürften sich auch Verwaltungsräte, Manager und demokratisch gewählte Politiker (und solche, die es werden wollen) wieder einmal klarmachen ...
Tells Hausflur
[Parricida-Szene]
Hedwig und die Buben Walter und Wilhelm warten auf die Rückkehr Tells. Doch zunächst erscheint ein fremder Mönch, der sich merkwürdig verhält und vor dem Hedwig graut. Auch Wilhelm Tell schöpft sofort Verdacht und schickt Frau und Kinder weg. Johannes Parricida [parricida = lateinisch Vatermörder] sucht bei Wilhelm Tell Schutz vor seinen Verfolgern. Friedrich Schiller versucht hier, einen scharfen ethischen Gegensatz aufzubauen zwischen dem Vatermörder Johannes Parricida und dem Tyrannenmörder Wilhelm Tell.
Parricida:
Bei Euch hofft' ich Barmherzigkeit zu finden,
Auch ihr nahmt Rach' an Euerm Feind.
Tell:
Unglücklicher!
Darfst du der Ehrsucht blut'ge Schuld vermengen
Mit der gerechten Notwehr eines Vaters?
Hast du der Kinder liebes Haupt verteidigt?
Des Herdes Heiligtum beschützt? das Schrecklichste,
Das Letzte von den Deinen abgewehrt?
- Zum Himmel heb ich meine reinen Hände,
Verfluche dich und deine Tat - Gerächt
Hab ich die heilige Natur, die du
Geschändet - Nichts teil ich mit dir - Gemordet
Hast du, ich hab mein Teuerstes verteidigt.
...
Unglücklicher, wohl kannte dich dein Ohm,
Da er dir Land und Leute weigerte!
Du selbst mit rascher, wilder Wahnsinnstat
Rechtfertigst furchtbar seinen weisen Schluß.
Schiller rechtfertigt den Tyrannenmord des Wilhelm Tell damit, daß das Opfer, der Wüterich Gessler, selbst wider die Natur verstoßen habe, indem er einen Vater zwang, auf sein eigenes Kind zu zielen. Sein Wilhelm Tell vollstrecke durch den Tyrannenmord am Landvogt Gessler gewißermassen ein göttliches Urteil und bringe das Naturrecht zur Geltung.
Trotz seiner harten - zur eigenen Rechtfertigung ausgesprochenen - Worte will auch Schillers Tell die Habsburger der regierenden Linie nicht unterstützen und schickt den Parricida reichlich mit Proviant versehen durch die schreckliche Schöllenenschlucht nach Italien, wo er beim Papst seine Schuld beichten soll.
Talgrund vor Tells Haus
Berta von Brunegg und Rudenz werden in den Bund der Eidgenossen aufgenommen, Rudenz erklärt alle seine Knechte für frei.
Wilhelm Tell steht stellvertretend für die Alten Eidgenossen, er sieht den Tyrannenmord als gerechtfertigt an, wo der Despot in seiner Willkür Unmenschliches fordert. Freiheit wird als Abwesenheit von Tyrannei und Unterdrückung dargestellt. Daß damit nur die erste Hälfte des Problems der Freiheit gelöst ist, hätte auch Friedrich von Schiller zu seiner Zeit schon wissen können: Damals waren die Ereignisse der französischen Revolution hoch aktuell. Bekanntlich ging die Freiheitsbewegung von 1792 nur allzu schnell im Chaos von Anarchie und Terror unter.
Die zweite Hälfte des Problems der Freiheit besteht darin, eine verläßliche Ordnung zu errichten, die allen gleiche Rechte und gleiche Chancen garantiert. Dies ist - so paradox [widersprüchlich] es tönen mag - aber nur um den Preis von Einschränkungen der Freiheit zu haben: Meine Freiheit hört dort auf, wo sie die Freiheit meiner Mitmenschen verletzt. Wenn Friedrich von Schiller in seinem Drama - und mit ihm viele konservative Anhänger eines an Wilhelm Tell orientierten Freiheitsbegriffs - bloß die "ererbten Rechte" und ein "Widerstandsrecht gegen Tyrannei" betonen, dann greift dies zu kurz.
Wirkliche Freiheit ist immer nur zusammen mit ihrer Zwillingsschwester, der sozialen Gerechtigkeit zu haben. Hier ein stabiles und gerechtes Gleichgewicht zu finden, in dem auch die sozial Schwächeren nicht zu kurz kommen, das ist die Aufgabe des freiheitlich-demokratischen Rechtstaates, wie er in der Schweiz in Grundzügen seit 1848, als vollwertiger sozialer Wohlfahrtsstaat aber erst seit dem Ende des 2. Weltkriegs realisiert wurde.
Im Rechtsstaat aber ist kein Platz mehr für Selbstjustiz. Niemand darf sich anmaßen, sich wie Wilhelm Tell mit der Waffe in der Hand selbst Recht zu verschaffen. Alle - ob arm oder reich - haben sich den Entscheiden unterzuordnen, die auf demokratischem Weg zustande gekommen sind - nur so bleibt die Freiheit und Sicherheit aller gewährleistet.
Das sinnlose und schreckliche Attentat auf das Kantonsparlament von Zug am 27. September 2001, begangen von einem Amokläufer, der sich von den Behörden ungerecht behandelt fühlte, sollte uns dafür eine Mahnung sein. "Wer noch daran zweifelt, ob in unserem Land griffigere Bestimmungen über den Erwerb und den Besitz von Waffen nötig sind, dem sei der gestern veröffentlichte Schlussbericht der Zuger Untersuchungsbehörden über das Attentat vom September 2001 zur Lektüre empfohlen."
(Werner Steinmann, Waffen nicht in falsche Hände, in: Neue Luzerner Zeitung, 24. 10. 2003, S. 35; zum Untersuchungsbericht vgl. auch Tages-Anzeiger, 24. 10. 2003, S. 9) Mehr zur Entstehung, Interpretation und Wirkungsgeschichte von Friedrich Schillers Drama Wilhelm Tell.Letztes Update: 26.10.2003 | ||||
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